Eine Blutwurst für King Kong
Komödie in 8 Szenen
Theaterstücke
Frühe Stücke:
Der Blumengarten (vor 1971)
Wer hat den Längsten?
(1974/75)
Das Glockenspiel im schwarzen Palast (1974)
Die Einweihung des öffentlichen Waisenhauses (1976)
Eine Blutwurst für King Kong (1978)
Schlag mich, peitsch mich, süsser Löwe (1978)
Stück ohne Titel (1979)
Liebe Spielen (1979/80)
Die letzte Hoffnung (Libretto, 1976)
Späte Stücke:
Sterns Stunden (1981)
Aus böhmischen Dörfern
Die Reise zum Mond
Kambek
Zwischen dem Kuss und Wiesersehen
Traiskirchen (1988)
Ein Neger mit Gazelle
Drei Sterne über dem Baldachin
Die Engel von Hollywood (Dramatisierung 1989/90)
Im Schatten der Büsche (1991/92) - Manuskript-Fragment
 

 

Jahr März - September 1978
Copyright Daniel Corti
Personen 3D / 9H + Statisten
Ort der Handlung ländliche Kleinstadt
Zeit der Handlung zur Zeit der Getriedeernte

Personen:

Jetzer
Ben
Franz
Kilian,
Metzger
Ewig, Fleischbeschauer
Wendel, Drogist
Löblich, Pfarrer
Prinzipal
Jim, Neger
Grossmutter Ada Jetzer
Frau Lukesch
Paula
Statisten:
Soldaten und Bürger

 

Über das Stück

Vorübergehend in der Kleinstadt stationierte Soldaten regen den Geschäftssinn der Bürger an. Vor allem geht es um Schweine, für die Kantine und jede andere Verwendung, und da ist ein Zirkus für die Schaulustigen. Dort tritt auch der Schwarze, Jim, in mehreren Nummern auf, u.a. in der Haustier-Nummer mit den Schweinen. In der gewohnten, unbemerkten Innenwelt-Verschmutzung, bestehend aus einer schamlosen, fast operettenhaften Doppelbödigkeit, in der Tabus zwar gelten, aber auch umgangen werden können (halbheimlich genügt und halbbewusst ist noch besser). Das tatsächlich und im übertragenen Sinn Schweinische darf das Leben dieser Menschen in jeder Lebenslage bestimmen. Es ist ein Gewusel von verdrehten Bedeutungen und ein untergründiges Einverständnis aller. Man kennt sich, man weiss wo's lang geht.

Aus der in früheren Stücken vorkommenden abschätzigen Redensart “jetzt bist du mein Neger” tritt dieser hier in die Wirklichkeit und wird es durch seine reine, offenherzige, fröhliche Naivität trotzdem im Sinn der Redensart: Anstatt von seiner kindlichen Unschuld zu lernen, das ist zu aufwändig, wird sie lieber missbraucht für's Geschäft, für Sensation oder auch nur für Anzüglichkeiten und die so praktische Einrichtung des Sündenbocks, bei welcher Gelegenheit alle dazu Neigenden “wieder einmal so richtig die Sau rauslassen” können. Jim lässt es ja mit sich machen, nicht?

Jim merkt nicht, in was für eine Welt er da geraten ist. Spiel ist ihm alles Wirkliche ebenso wie auch sein Zirkusauftritt als "King Kong", vor dem jeweils jemand aus dem Publikum die Ballerina Paula, die Tochter des Zirkusdirektors (Prinzipal) im Zweikampf retten darf. Dieses Spiel im Spiel ist, nicht, wie z.B. in “Sterns Stunden”, Nach-Inszenierung von Geschehenem zu dessen Verarbeitung, sondern dieses Mal Vorwegnahme, Inspiration für das folgende Geschehen.

Kilian, der Metzger, gewinnt nach zwei Minuten, doch als er in der Pause auf Jims Kommentar “das will nur so scheinen” handgreiflich wird, zeigt Jim ihm in wenigen Sekunden das wahre Kräfteverhältnis. Den zweiten Teil mit dem Nackttanz will der in seiner Eitelkeit Gekränkte nicht mehr anschauen; Ewig, der Fleischbeschauer und Pfarrer Löblich bleiben gern. Dieser mietet sich den Neger vom Prinzipal, dem Zirkusdirektor, als Publikumsmagnet für die Messe und auch noch zum Abstauben seines Kerzenständers, wie er es nennt, eine Arbeit, die sonst seine Ministranten Franz und Ben bekommen.

Jetzer (er lebt bei der Grossmutter, seine Mutter ist gestorben und der Vater unbekannt), der endlich einmal eine Frau haben konnte - es war die in Ohnmacht gefallene Paula - trumpft damit vor den gleichaltrigen Ben und Franz auf, die um ihn aufzustacheln ihm, dem es an Selbstwert mangelt, keinen Glauben schenken. Mittels eines blasphemischen Wunders will er es beweisen. Paula muss als Heilige Maria in der Messe erscheinen. Sie spielt mit, weil sie einen Moment lang an die Echtheit seiner Gefühle glaubt. Doch winkt sie ab, als er sie, in der Überzeugung, Liebe müsse unbedingt auch rentieren, täglich dazu aufbieten will,

Nach anfänglicher Verwirrung merkt Jim , dass hier alles anders gemeint ist, als es gesagt wird. Als ein Spielverderber wirkt er, weil sein Herz nicht durch Geschäftsdenken verdreht ist. Jim ist nicht nur aufrichtig, sondern auch der Stärkste, so dass man ihm nur durch selbstgerechte Hinterlist beikommen kann. Zuerst versucht man ihn einzubinden, er lässt es geschehen, durchschaut es lachend und braucht deswegen aber nicht sein Herz zu verschliessen. Aber wenn sogar eine Landeseigene umkippt, Paula, die sich selbst bestimmen und der Ausnützung durch ihren Vater entkommen will, und im schwarzen Jim den Retter des wahren Fühlens bemerkt und ihm nachzufolgen bereit ist, ist es höchste Zeit, dass man ihn wegschafft.

Paula liebt Jim, den zart mit ihr umgehenden "King Kong", aber ihr Vater verbietet ihr ausserhalb der Zirkusnummer den Kontakt. Sie spürt: Jim nimmt ganz uneigennützig die Menschen in die Seele auf. Ihm wird das Schlimme nachgesagt, das man an sich selbst nicht sieht. Falls es noch nicht ganz passt, wird etwas nachgeholfen und zurechtgebogen. Zuletzt braucht es nur ein Messer, und niemand ist dagegen. Ein Metzger hat das natürlicherweise, und endlich ist Ruh. Es wird nicht gesagt: der Erlöser kommt in einer fremden, den Erwartungen nicht entsprechenden Gestalt, unangenehm ist es, man will ihn nicht bemerken.

Am Ende bekommt Paula ihn, aber als Wurst aus seinem Blut, die sein Mörder, der Metzger anscheinend aus ihm gemacht hat (es ist nie klar, sprechen sie jetzt vom zu schlachtenden Schwein oder von Jim) und die sie in ihren Mund stopfen, bevor sie mit dem dummen, eifersüchtigen Jetzer verheiratet wird, der die vergewaltigte Erste nicht mehr aus der Hand gibt (die er aber so wenig kennt, dass er sie mit Jim verwechseln konnte). Der die kleinstädtische Ruhe störende Aussenseiter ist weg, wie die Soldaten, und man ist, nach einer willkommenen, sensationellen Abwechslung, endlich wieder unter sich. Und überhaupt ist es ein “happy end”: mit einer dreifachen Heirat (Kilian und Ewig haben auch für sich gesorgt) in einer vollen Kirche, die “wieder im Dorf” ist.

Zochow schreckt nicht vor diesem Dreck zurück, so dass das Reine umso strahlender hervortritt. Doch bis das Reine auch siegt, als Berthe in “Drei Sterne über dem Baldachin”, ist es noch ein langer Weg der magischen Reinigung.
(Daniel Corti)

«Eine aberwitzige Komödie über einen Schwarzen, der die kleinbürgerliche Selbstzufriedenheit einer Provinzstadt ins Wanken bringt und geschlachtet wird.» (FBE-Zeitung)

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Eine Blutwurst für King Kong

1. Szene - Vor der Metzgerei des Herrn Kilian

Die Bühne ist dunkel. Eine fröhlich-rassige Marschmusik setzt ein, Soldatenschritte. Die Musik ist aus, und die Bühne wird hell. Der Metzger Kilian zieht den Rolladen seiner Metzgerei hoch. Der Fleischbeschauer Ewig und Frau Lukesch starren immer noch den Soldaten nach.

Kilian Endlich hat der Grosshandel sein unfehlbares Auge auf uns geworfen.
Lukesch Jesus Maria, sie ist mir erstickt!
Kilian Wer?

Ewig Stramme Burschen.
Lukesch Herr Kilian, in dem Moment. (nimmt eine fette tote Gens aus der Tasche und zeigt sie den Herren.) Vor Aufregung.
Ewig Die Tiere haben halt ein zartes Naturell. Suchen Sie mir beispielsweise einen Menschen, der so zart ist wie ein Schwein.
Kilian Gehen Sie mir mit der Aufregung. Die ist am Knödel erstickt. (fährt mit der Hand am Hals der Gans auf und ab.) So muss man das machen. Nachhelfen. Schön langsam. Mich und hereinlegen!
Lukesch Oh je, dann ist nix.
Kilian Und überhaupt, Frau Lukesch, das muss ich Ihnen leider deutlich sagen, seit uns jetzt der Grosshandel beliefert, sind Sie als Einzelmensch für mich reine Hochstaplerei geworden.
Lukesch Oh je, ich verstehe kein Wort.
Kilian Wie sage ich es meinem Kinde?
Ewig Zwei Wagons täglich. Alles für die Erntearbeiter. Das heisst Verantwortung. Kilian Einzelhandel rentiert nicht mehr, Frau Lukesch. Ich beziehe jetzt en gros.
Lukesch Oh je, die Toni! Was mache ich jetzt mit der Toni?! Die Toni! Die Toni hat Ihnen gefallen, Herr Kilian! Die Toni. Wer sticht sie mir jetzt ab? Heilige Maria, die arme Sau, oh je!

Die Glocke schlägt dreizehnmal hintereinander, der Prinzipal und Paula treten auf und gehen auf die Metzgerei zu.

Ewig Dreizehnmal, wo gibt es das schon?
Kilian Und jetzt gibt es auch noch die Soldaten. Ich sage Ihnen... Die Sau steche ich schon. (zum Prinzipal und Paula) Womit kann ich den Herrschaften dienen?
Prinzipal Ich hätte gern was Blutiges. Schweinsleber oder so.

Prinzipal, Paula und Kilian verschwinden im dunklen Inneren der Metzgerei.

Ewig Die Unterhaltunngsindustrie zieht nach. Wissen Sie, eine Kaserne, das bringt Kultur in die Stadt.(ab)
Lukesch (läuft ihm nach) Aber Herr Ewig, die Gans, geben Sie mir einen Stempel auf die Gans!

Jim, gross und kräftig, taucht vor ihr auf. Sie erschrickt, lässt die Gans fallen, ist sprach- und bewegungslos, starrt ihn an. Jim lächelt sie verlegen an.

Jim Bitte, nicht. Keine Angst.

Macht zwei drei Tanzschritte, lacht, tanzt, gibt urtümliche Laute von sich, scherzt und versetzt damit die Lukesch in noch grössere Angst. Sie schluchzt.

Jim Nicht weinen. Ich bin die Lachbombe aus schwarzem Urwald. Grossartiges Amüsement!

Lukesch Herr Pfarrer! Herr Pfarrer! (ab)

Kilian, Prinzipal und Paula kommen aus dem Laden.

Kilian Ich bin beliebt, weil ich auch sehr ekelhaft sein kann.
Jim Willkommen, Freunde!
(macht eine Geste des Umarmens)
Prinzipal (zu Kilian) Frisst rohes Fleisch, aber sonst ist er wie ein Kind.
Kilian Willkommen ist gut!
Paula Das heisst, als hätte er uns in sich aufgenommen. In seine Seele.
Kilian
Pfui Teufel!
(spuckt aus und fixiert Paula)
Prinzipal Soldaten ist immer gut. Da bekommt die Langeweile einen Männerleib.
(fixiert Kilian, dann Paula. Kilian nimmt eine Wurst aus der Tasche und beisst das obere Ende ab.)
Ich habe was zu bieten. Attraktionen aus aller Welt. Ein wildes Schwein, Hundert Kobras und jetzt noch den Neger. Der Affe und das Mädchen. (zu Jim) Zeig dem Herrn.

Jim brüllt und schlägt sich mit den Fäusten auf die Brust, Paula versucht zu fliehen, Jim fängt sie und streichelt sie an den Haaren.

Prinzipal Sitten und Gebräuche Afrikas zeigt er nach der Pause. Grossartiges Amüsement. Den sollten Sie nackt tanzen sehen. Das glauben Sie nicht.

Der Pfarrer Löblich, Frau Lukesch, Ben und Franz treten auf und nähern sich der Gruppe. Jim reicht die tote Gans der Lukesch.

Lukesch Er hat mir die Gans gestohlen! Herr Pfarrer, er hat mir die Gans gestohlen!
Jim (strahlt und lacht) Das will nur so scheinen.
Ben Mir ist die Schuhwichse ausgegangen.
Kilian Die Weisswürste heute, prima erste Klasse...
Lukesch Der Grosshandel, oh je!
(steckt die tote Gans wieder in die Tasche.)
Löblich Fleisch. Wo ich hinschaue, Fleisch.
Kilian Für die Soldaten.
Lukesch Zwei Wagons täglich!
Löblich Schweine und Säue, Schweine und Säue.
Prinzipal Für die Soldaten.
Lukesch Die Toni! (sie heult)
Jim (streichelt sie, wie er vorher Paula gestreichelt hat) Keine Angst.
Prinzipal Kusch! Er klaut ständig die Wörter aus der Rolle und wendet sie dann an. Für ihn ist alles wahr. (wirft ihm das rohe Fleisch vor.) Friss! (Jim isst das Fleisch.)
Löblich Er könnte mir die Kerzenständer putzen. Der hat flinke Hände, das sieht man, wie er streichelt.
Prinzipal Und erst wenn er tanzt! Nackttänze aus schwarzem Urwald.
Ben Das ist ja unsittlich.
Lukesch Herr Pfarrer, er frisst Blut!
Löblich Das ist Folklore.
Jim (strahlt und lacht) Kommt, Freunde! Ich tanze für euch! Nackt!
Prinzipal Ab heute täglich!

Jim tänzelnd ab, Prinzipal ihm nach.

Löblich (zu Ben und Franz) Kommt, worauf wartet ihr? Nackt.
Franz Nackt!
Ben Und schwarz.

Löblich, Ben und Franz dem Prinzipal und Jim nach

Lukesch Jesus Gott, Herr Pfarrer, ich bin verunehrt! Er hat mich angetapst!
(wie gebannt den anderen nach)
Kilian Und Sie tanzen nicht?
Paula Nicht öffentlich.
Kilian Keine Perlen vor die Säue.( lacht)
Paula Vor Säuen würde ich schon tanzen.

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