EIN NEGER MIT GAZELLE
Szenen aus der Freizeit - in fünf Bildern
Theaterstücke
Frühe Stücke:
Der Blumengarten (vor 1971)
Wer hat den Längsten?
(1974/75)
Das Glockenspiel im schwarzen Palast (1974)
Die Einweihung des öffentlichen Waisenhauses (1976)
Eine Blutwurst für King Kong (1978)
Schlag mich, peitsch mich, süsser Löwe (1978)
Stück ohne Titel (1979)
Liebe Spielen (1979/80)
Die letzte Hoffnung (Libretto, 1976)
Späte Stücke:
Sterns Stunden (1981)
Aus böhmischen Dörfern
Die Reise zum Mond
Kambek
Zwischen dem Kuss und Wiesersehen
Traiskirchen (1988)
Ein Neger mit Gazelle
Drei Sterne über dem Baldachin
Die Engel von Hollywood (Dramatisierung 1989/90)
Im Schatten der Büsche (1991/92) - Manuskript-Fragment
 

 

Jahr 1990
Copyright Daniel Corti
Personen 2D / 3H
Ort der Handlung Erholungspark irgendwo in Deutschland, im Amboseli Nationalpark in Kenya, in einem deutschen Biergarten
Zeit der Handlung 1990

Personen:

Ingrid
Michael
Hermann
Monika
Soldat

 

Über das Stück

In dem Stück erleben wir vier Allerweltsmenschen, die ihre „gottlose“ Freizeit in einem der für ihre flachen Wohlstandsbedürfnisse geschaffenen Erholungspark verbringen. Der penetrante Rassismus , der in ihnen unbewusst steckt, verändert sein Wesen bei der „weissen Frau“ bald nach der Begegnung mit einem leibhaftigen Neger, einem schwarzen US-Soldaten. So wie der Disneylandfreak sich nicht einfach mit den Ablegern dieser künstlichen Spiesserparadiese in Europa zufriedengibt, verwirklicht sich das deutsche Freizeitquartett einen Ferientraum in Kenia und treibt sich dort im Amboseli-Nationalpark herum.
(Klaus Völker)

Es liegt über diesen deutschen Freizeitplattitüden der Zauber einer Liebe, für die es da eigentlich gar keinen Platz gibt. Der Versucher, Herrmann, erschafft dem Niedrigeren jede Gelegenheit, dass man es dem Höheren vorziehe. Doch selber entscheiden kann er nichts. Monika, deren Mann nur auf Geschäftsreisen ist, gibt meist gerne nach.
Aber aus der schutzbedürftigen, überängstlichen, in Vorurteilen befangenen Ingrid, deren Mann, Michael, nicht mit derjenigen Tiefe empfindet, die ihr Sicherheit und Frieden gäbe, wird eine lebendige, mutige Frau. Den Fremden erlebt sie zuerst als abstossend, dann als von den anderen zynisch behandelt, als anrührend und liebevoll zart. Ohne dass sie und der schwarze Soldat miteinander in Kontakt kommen können, zaubert ihre Liebe, die Wege der anderen benützend, doch ein Kind hervor, so wunderlich zebragestreift, wie Ingrid es sich vorgestellt hat.
Sie lässt es Monika und verschwindet für immer, im Busch im Park, der schützend, doch durchlässig während des Stückes seine eigene magische Hauptrolle spielt. Symmetrie: rückwärts gelesen heisst der ergänzteTitel dasselbe: Ein Neger mit Gazelle zagt im Regen nie.l
(Daniel Corti)

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Ein Neger mit Gazelle

1. Bild

Ein Erholungspark irgendwo in der Bundesrepublik Deutschland. Eine Stelle an einem ruhig fließenden Fluss. Ein dunkel belaubter Busch, verdorrtes niedriges Gras. Monika packt ihre Sachen zusammen, Ingrid und Michael schauen ihr zu.

Monika Auf Wiedersehen.
Ingrid Auf Wiedersehen.
Monika Auf Wiedersehen.
Michael Auf Wiedersehen.

Monika ab.

Ingrid Sie wandert aus, ja. Nach Afrika. Weil dort die Weißen noch was sind.
Michael Ich fühle mich hier wohl, in Deutschland. Noch.
Ingrid Ich meine, dann bin ich am Nachmittag allein.

Michael umarmt sie. Hermann erscheint.

Michael Du, Ingrid, auf der Spitze steht das Gras so hoch. Da kommen keine Menschen.

Michael und Ingrid gehen zum Fluss. Michael springt ins Wasser.

Michael Spring!
Ingrid Unsere Sachen!

Sie eilt zurück.

Hermann Können Sie mir sagen, wie spät es ist?
Ingrid Ich habe keine Uhr.
Hermann War auch nur so 'ne Frage.
Ingrid Hören Sie, mein Mann ist gerade im Wasser, aber ich brauch ihn nur zu rufen.
Hermann So weit sind wir noch nicht.
Michael Ingrid!
Ingrid Michael!
Hermann Ich heiße Hermann.

Ingrid versteckt sich im Busch. Michael kommt aus dem Wasser. Hermann verschwindet.

Michael Ingrid? Ingrid!
Ingrid Da bin ich. Versteckt.
Michael Warum?

Ingrid schweigt.

Michael Komm doch raus.
Ingrid Nein. - Siehst du mich?
Michael Komm raus, Ingrid!

Ingrid schweigt.

Michael Hörst du mich?
Ingrid Ja. Aber ich sehe dich nicht.
Michael Komm raus, dann siehst du mich.
Ingrid Vielleicht bist du es gar nicht, der da redet.
Michael Und wer sollte ich sein?
Ingrid Vielleicht der Hermann.
Michael Welcher Hermann?
Ingrid Manchmal denk ich, du bist nicht der, den ich kenne.
Michael Komm raus, sag ich, dann denkst du so was nicht.
Ingrid Nein.
Michael Dann bleib, wo du bist! (geht zum Fluss.)
Ingrid Monika sagt, in Südafrika sind die Fronten klar getrennt. Und hier gibt es bald keine Sicherheit mehr. Jetzt, wo auch die Soldaten weggehen. Zurück nach Amerika! Und alle finden das gut! Sie lassen uns allein, und alle finden das gut! Mir hat einmal ein Soldat ein Plüschtier geschossen, da hat die Dame von der Schießbude gesagt: Wenn Sie auf die Russen auch so schießen. - Kannst du überhaupt schießen?

Ingrid kommt heraus, sieht Hermann und versteckt sich wieder im Busch.

Hermann Ich habe Zeit.

Er sieht den Soldaten und zieht sich zurück, Ein schwarzer amerikanischer Soldat tritt auf, geht zum Busch, öffnet die Hose und pinkelt. Ingrid stürzt aus dem Busch heraus, erschrickt, der Soldat erschrickt noch mehr.

Soldat Ich hatte keine Ahnung... Habe ich Sie.. sind Sie nass geworden?
Ingrid Von einem Neger bepisst! Das könnte in Südafrika nicht passieren.
Soldat Das hätte auch jemand anderem passieren können.
Ingrid Aber Sie sind kein anderer! Sie sind ein Neger! (reißt sich das Kleid vom Leib.)
Soldat Und Sie sind sehr weiß.
Ingrid Weg! Geh weg! Verschwinde!
Soldat Ich werde immer an Ihre zarte weiße Haut denken. (Er geht weg.)
Ingrid Das dürfen Sie nicht!
Michael (kommt aus dem Wasser) Ingrid..!
Ingrid Hab mich lieb, Michael , hab mich lieb. Ich will weg von hier. Hier ist nicht mehr meine Heimat.

[...]

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