TV-Meinung - Bildanalyse einer Schicht
Zeitungsartikel
Bildanalyse einer Schicht
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Luzerner Neueste Nachrichten
8. März 1976

«Der Tod den Kleinbürgers», ARD, Freitag, 23.25 Uhr

Die gleichnamige Novelle von Franz, Werfel aus dem Jahre 1927 diente Gustav Strübel als Vorlage für sein Fernsehspiel «Der Tod des Kleinbürgers», das in der Regie von Hans Hollmann am Freitagabend zu leider schon sehr fortgeschrittener Stunde vom Ersten Deutschen Fernsehen ausgestrahlt wurde. Leider, weil es sich dabei um eine hervorragende Literaturverfilmung handelte, die sicher mehr Zuschauer verdient hätte, als es zu einer so ungünstigen Zeit der Fall sein konnte. Starke, beklemmende Bilder halten das schäbige Wiener Milieu fest, in welchem sich die makabre Handlung abspielt: Ein Mann liegt im Sterben, doch er darf sich den Tod nicht leisten. Er muss noch zwei Monate durchhalten, damit seine Frau und seine Schwägerin die kurz vorher abgeschlossene Lebensversicherung ausbezahlt bekommen. Ob es nun bei ihm zu Hause, im Spital, auf der Strasse oder auf dem Friedhof ist, überall wird anhand von scheinbar unbedeutenden, in Wirklichkeit aber bezeichnenden Details oder kurzen, wortlosen Szenen die Morbidität des Kleinbürgertums enthüllt. Sowohl Strübels Dialoge als auch Hollmanns Bildregie und Schauspielerführung unterstrichen den alptraumhaften Charakter der Geschichte. Die Wirklichkeit, wie unwirklich sie auch scheint, bleibt erschreckend glaubwürdig und steigert sich dadurch zu einer Art Ueberwirklichkeit. Umgekehrt integrierte Hollmann auch die wirklich surrealen Wunsch-, Erinnerungs- und Vorstellungsbilder mühelos in die greifbare Realität, liess sie ein Teil von ihr werden. Dasselbe gilt für die Schauspieler: Bruno Hübner, Lotte Lang, Ruth Drexel, Nikolaus Hänel, Kurt Sowinetz und viele andere verliehen durch eine feine Stilisierung ihren Rollen einen besonders starken Ausdruck. Ueberaus erfreulich an diesem Fernsehspiel war auch die Anpassung an das Medium. Die Gefahr, statt eines Films nur verfilmte Literatur zu sehen, wurde durch eine kluge Textgliederung und geschickte Szenenaufteilung glücklich vermieden. Rascher Szenenwechsel und abwechslungsreiche Einstellungen der Kamera, die sich immer am richtigen Ort befand, sorgten für das Tempo und die Spannung. Die Bilder illustrierten nicht, sondern sprachen für sich.

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